Starke und robuste Sehnen sorgen für eine bessere Kraftübertragung zwischen Muskel und Knochen, sind weniger anfällig für Verletzungen und können Energie effizienter speichern und wieder freisetzen. Ein gewisser Fokus sollte daher unabhängig von der Personengruppe: Spielsportler, ältere Person oder Hobbysportler, der Verbesserung von bindegewebsartigen Strukturen wie Bändern, Sehnen oder Knorpel, gewidmet werden. Der folgende Artikel gibt eine Übersicht über die wichtigsten theoretischen und praktischen Aspekte bezüglich Sehnen und Bänder, deren physiologische Anpassungsgrundlagen und mögliche Trainingsstrategien zur Kräftigung dieser Strukturen.
Sehnen & Bänder stärken? So geht’s richtig!
Anatomische Grundlagen
Was sind Sehnen und Bänder überhaupt?
Sehnen und Bänder werden in der Anatomie zum sogenannten Binde- und Stützgewebe gezählt. Dieser Gewebetyp (Binde- und Stützgewebe) ist bezogen auf seine Funktionen und Aufgaben, unglaublich vielfältig und umfasst Strukturen wie zum Beispiel folgende:
- Sehnen: Verbinden Muskeln mit Knochen und sorgen dafür, dass Kräfte, welche vom Muskel erzeugt werden, auf den Knochen übertragen werden können.
- Bänder: Verbinden Knochen mit Knochen und sorgen als passive „Gelenksmanager“ für die Funktionstüchtigkeit von Gelenken.
- Knorpel: Reduziert Reibung, dient der Schockabsorption und verbessert die Kongruenz der Gelenkspartner
- findet man an den Gelenksflächen zweier Gelenkspartner synovialer Gelenke
(= Hyaliner Knorpel) - Bandscheiben oder Menisken (= Faserknorpel)
- findet man an den Gelenksflächen zweier Gelenkspartner synovialer Gelenke
- Knochen: Nehmen externe und interne Kräfte auf und leiten sie weiter
Auch wenn es noch zahlreiche weitere Spezialisierungen dieser Gewebsart gäbe, möchte ich es bei den eben aufgezählten belassen. Die unterschiedlichen Eigenschaften der ausdifferenzierten Bindegewebsarten ergeben sich aufgrund verschiedenartiger Zellen (z.B. Fibroblasten, Chondroblasten, Osteoblasten, …), welche die sogenannte extrazelluläre Matrix Produzieren. Diese Matrix, besteht aus Fasern (Kollagen und/oder Elastin), Grundsubstanz (Glykoprotein, Proteoglykane, Glykosaminoglykane) und Wasser. Durch die jeweils spezifische Zusammensetzung der Matrix, weisen Sehnen und Bänder eine hohe Zugfestigkeit, Knorpel eine hohe Druckfestigkeit und Knochen eine hohe Formfestigkeit auf!
Beispiel: In Sehnen- oder Bandstrukturen produzieren Fibroblasten eine Matrix welche sehr faserreich ist und aus vielen zueinander, in Wirkungslinie der Kraft, parallel ausgerichteten Kollagenfasern besteht. Aufgrund ihrer Ähnlichkeit in Zusammensetzung und Funktion werden Sehnen und Bänder oftmals als eine Gruppe zusammengefasst. Die Chondrozyten hyalinen Knorpels hingegen produzieren so gut wie überhaupt keine Fasern, stattdessen ist die Matrix reich an Glykoproteinen und Sulfaten welche dem Knorpel sein typisch saures Milieu verschaffen.
[Levangie, 2011]
[Schünke, 2018]
K wie Kollagen!
Bis jetzt weißt du, dass Sehnen und Bänder zum sogenannten Binde- und Stützgewebe gezählt werden und oberflächlich gesehen aus der extrazellulären Matrix bestehen, welche sich ihrerseits wiederum aus Kollagen- und/oder elastischen Fasern und Grundsubstanz zusammensetzt. Die Kollagenstrukturen stellen dabei mit 75% des Trockengewichts den größten Anteil von Sehnen und Bändern dar. Aus diesem Grund widme ich mich in diesem Abschnitt den für Sehnen und Bänder typisch parallelfaserig ausgerichteten Kollagenfasern.
Die Kollagenfaser
Eine Kollagenfaser besteht aus mehreren Kollagenfibrillen. Diese bestehen ihrerseits aus zahlreichen Kollagenmikrofibrillen. Die Baueinheit der Mikrofibrille stellt das Kollagenmolekül selbst dar.
Abbildung 1: Aufbau Kollagenfaser (nach Rauber-Kopsch): Schünke (2018)
Dieses wiederum, besteht aus drei ineinander verwundenen Polypeptidketten (=Tripelhelix welche auch α-Ketten genannt werden und eine wellenartige (engl. crimp) Struktur aufweisen (Abb. 1).
Zusätzlich bestehen zwischen den einzelnen Kollagenmikrofibrillen, Quervernetzungen. Diese sorgen für die Integrität der Kollagenfaser und haben Einfluss auf ihre Steifigkeit. Je mehr dieser sogenannten Cross-Links vorhanden sind, desto steifer ist das Material.
[Ackermann, 2016]
[Paxton, 2007]
[Schünke, 2018]
Kollagentypen
Du hast bestimmt schon davon gehört, dass es unterschiedliche Kollagentypen gibt. Zum Beispiel Typ I, Typ II, Typ III usw. Zu diesen Typenbezeichnungen kommt es deshalb, weil unterschiedliche (ca. 20) α-Ketten existieren. So besteht Typ I Kollagen aus zwei α1 und einer α2 – Kette. Typ I Kollagen wird von Fibroblasten produziert und stellt mit 90% des Gesamtkollagens, das im Körper am häufigsten vorkommende Kollagenmolekül dar. Chondroblasten welche in Knorpelgewebe vorzufinden sind, produzieren hingegen Typ II Kollagen.
Eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Kollagenarten (I, II, III, …) und das Wissen, in welchen Strukturen man welchen Typ vorfindet ist deshalb wichtig, da unterschiedliche Kollagentypen unterschiedliche Reize benötigen um sich zu verstärken. So passen sich Strukturen mit vorwiegend Typ I Kollagenfasern nur dann an, wenn Zugkräften auf sie einwirken. Anpassungen von Strukturen mit vorrangig Typ II Kollagen sind nur dann möglich, wenn sie Druckkräften ausgesetzt werden. Anders gesprochen bedeutet das, dass sich eine bandartige Struktur wie das Kreuzband oder das Patella-Band welche aus Typ I Fasern bestehen, nicht sonderlich und schon gar nicht gezielt verstärken werden, wenn darauf herumgedrückt wird oder Übungen ausgeführt werden bei denen es vor allem zu einer Kompression des Kniegelenks kommt. Die hierbei hauptsächlich auftretenden Druck- und Kompressionskräften werden lediglich zu einer Anpassung der Menisken und des Gelenksknorpels (Typ II Kollagen) führen. Dieser Punkt ist enorm wichtig, denn erst wenn dieses Prinzip verstanden wird, kann ein Inputsignal bewusst so gewählt werden, damit es zu dem vom Trainer gewünschten Output (z.B Anpassung einer Sehnenstruktur) führt.
Anmerkung Drucksehnen:
In seltenen Fällen, wenn eine Sehne über ein Widerlager umgelenkt wird, kommt es in diesem Bereich zu einer erhöhten Druckbelastung und dadurch zu einem Aufbau einer faserknorpeligen Gewebsschicht innerhalb der Sehne selbst (= Drucksehnen (z.B. M. fibularis longus)). Jene Sehnen mit denen wir aber als Kraft- und Konditionstrainer oder Personal Trainer zu tun haben sind Quadrizepssehne, Patellaband, Achillessehne, Sehne des großen Brustmuskels, Sehne des breiten Rückenmuskels oder die Sehnen der Rotatorenmanschette. Diese zählen alle samt zur Kategorie: Zugsehne.
[Ackermann, 2016]
[Levangie, 2011]
[Schünke, 2018]
[Zschäbitz, 2005]
Der Muskel-Sehnen-Knochen-Komplex!
Zwei wichtige Punkte welche Sehnen zu erfüllen haben sind einerseits, die Spannung des Muskels auf den Knochen zu übertragen wodurch Bewegung in einem Gelenk erreicht oder bewusst verhindert werden kann und andererseits, den Muskel selbst vor Verletzungen zu schützen.
Damit Kraft vom Muskel auf den Knochen übertragen werden kann, muss die Sehne sowohl einen Verankerungspunkt am Knochen, als auch an der Muskulatur haben. Sprich, ein Muskel setzt immer über eine Sehne am Knochen an. Dabei kann die Sehne länger sein, wie beispielsweise die Achillessehne (12cm), oder sehr kurz (wenige mm), wie es beispielsweise bei den Adduktoren der Fall ist. Bei letzterem spricht man auch von einem „fleischigen“ Ansatz. Unabhängig von der Sehnenlänge ist die mikroskopische Anatomie und der Aufbau an den Übergangsbereichen: Muskel-Sehne (distal) und Sehne-Knochen (proximal) immer gleich.
Abbildung 2: Muskulotendinöser Übergang: Levangie (2011)
- Muskel-Sehnen-Einheit: Zwischen Muskulatur und Sehnengewebe führen starke Einstülpungen der Muskelzelle zu einer riesigen Oberflächenvergrößerung und die Kollagenfibrillen sind in und mit der Muskelzellmembran stark verankert. (Abb. 2)
Das Prinzip ist ähnlich, wie wenn du Seite für Seite zweier Bücher abwechselnd ineinanderschlängst und dann versuchst die beiden Bücher auseinanderzuziehen. Aufgrund der großen Kontaktfläche entsteht eine immense Reibung zwischen den Papierseiten wodurch es nicht möglich ist, die Bücher voneinander zu trennen. Dementsprechend robust ist auch die Verankerung der Sehne mit der Muskulatur. - Sehnen-Knochen-Einheit: Die Sehne hat eine mechanische Meisterleistung zu vollbringen: Sie muss Kraft von einem relativ elastischen Gewebe (Muskulatur) auf ein starres Gewebe übertragen. Aus diesem Grund gibt es auf der Verankerungsseite mit dem Knochen, der sogenannten Sehnenansatzzone, eine Dehnungsbremse um die Kraft der elastischen Muskulatur über die Sehneneinheit „sicherer und sanfter“ auf den unelastischen Knochen zu übertragen. Das wird dadurch bewerkstelligt, indem Sehnen im Verankerungsbereich mit der Muskulatur eine höhere Elastizität aufweisen als wie im Vergleich zur knöchernen Verankerungsseite.
Jeder der schon einmal einen Tennisellenbogen hatte, wurde bereits Zeuge einer nicht funktionierenden Dehnungsbremse. Durch eine Veränderung der Gewebsstruktur nahe des Knochens wird die Zugkraft nicht mehr so gut „gebremst“ und die Zugkräfte der Sehne am Knochen sind viel größer. Zusätzlich zu anderen Gründen wie beispielsweise einer lokalen Entzündung und Sensibilitätserhöhung des Nervensystems, führt eine Muskelkontraktion am entsprechenden Ansatzbereich zu großen Schmerzen.
[Ackermann, 2016]
[Baar, 2017]
[Levangie, 2011]
[Schünke, 2018]
Du hast weitere Fragen oder interessierst dich für eine Leistungsdiagnostik um dein Training zu optimieren? Dann melde dich bei uns. Wir helfen dir gerne weiter.
(Bio-)Mechanische Eigenschaften von Sehnen und Bändern
Zugkraft- und Elastizitätsverhalten
Nachdem wir uns ein wenig mit dem Aufbau und der Anatomie von Sehnen und Bändern beschäftigt haben, betrachten wir in diesem Teil ihre mechanischen Eigenschaften.
Sehnen und Bänder setzen sich im Allgemeinen aus den folgenden Komponenten zusammen:
- Wasser 60-75%
- Fasern 24-39% (Davon 80-95% Typ I Kollagen)
- Grundsubstanz 1%
Der Wassergehalt kommt aufgrund der ausgeprägten Bindekapazität der Proteoglykane zustande. Der Faseranteil ist bei Sehnen und Bändern mit 24-39% sehr hoch und besteht vorwiegend aus Typ I Kollagen. Dadurch wird das Material unglaublich Deformationsbeständig und kann hohe Zugkräfte aufnehmen (60-100N/cm2). Das ist auch wichtig. Alleine beim Laufen treten Spitzenkräfte von 9kN (≙ 918kg) auf, welche von der Sehne aufgenommen werden müssen!
Wirkt eine Kraft (= Spannung) durch einen Muskelzug auf die Struktur ein, dann zeigen Sehnen und Bänder ein bestimmtes nicht lineares mechanisches Verhalten wie in der folgenden Stress-Dehnungs-Kurve ersichtlich wird (Abb. 3).
Abbildung 3: Stress-Strain-Kurve: Wang (2006)
In der ersten nicht linearen Phase der Dehnung (2-4% abhängig von der Sehne) kommt es aufgrund der wellenartigen Struktur des Kollagenmoleküls bei einer Krafteinwirkung zu einer Verlängerung desselben, ohne dass dazu viel Kraft aufgewendet werden muss (= Toe Region). Bei einer Dehnung um weitere 2-3% kommt es zu einem linearen Verhältnis von Krafteinwirkung und Deformation der Sehne. Bis zu diesem Zeitpunkt ist es dem Sehnengewebe aufgrund der Kollageneigenschaft möglich, in seine ursprüngliche Ausgangsform zurückzukehren weshalb diese Region auch „Elastic-Region“ genannt wird. Je mehr Elastinfasern in einer Struktur eingebaut sind, desto länger und flacher ist dieser lineare Anstieg. Eine weitere Dehnung (>8%) führt zu einer permanententen Veränderung der Sehnen. Es entstehen mikroskopische Frakturen, welche dazu führen, dass die Sehne oder das Band nicht mehr in ihren Ursprungszustand zurückgelangen. Die Wiederherstellung der Originalstruktur ist nur möglich, indem es zur Synthese und dem Einbau neuen Gewebes kommt. Steigen die Zugkräfte von hier aus noch weiter an, kann das schlussendlich auch zum Abriss der Sehne führen (Macroscopic Failure). Das wäre bei einem Kreuzbandriss, einer Achillessehnenruptur oder ähnlichem der Fall.
Gesunde Sehnen können aber in der Regel so hohe Zugkräfte aufnehmen, dass bei Verletzungen entweder der Sehnenansatz samt Knochen ausgerissen wird oder die Muskulatur nachgibt (Muskelfaserriss). Bei entzündeten, vorgeschädigten oder degenerierten Sehnen kann es aufgrund eines Missverhältnisses zwischen Belastung und Belastbarkeit jedoch auch die Sehne selbst sein, die reißt.
[Ackermann, 2016]
[Beach, 2017]
[Hazari, 2021]
[Schünke, 2018]
[Wang, 2006]
Wichtige Begrifflichkeiten
Ergänzend zur obigen Stress-Dehnungs-Kurve möchte ich einige Begrifflichkeiten definieren, welche immer wieder im Zusammenhang mit Sehnen, aber auch anderen (Bau-)Materialien auftreten:
- Strain/Dehnungsveränderung: Ist die relative Längenveränderung (%) der Sehne zwischen seiner originalen Ausgangs- und gedehnten Endlänge. (%) = ΔL/L0
Beispiel: Ein 10m langes Seil wird durch eine Kraft von 50N auf 20m ausgedehnt. Die Dehnungsveränderung ergibt sich aus der Endlänge (20m) – Ausgangslänge (10m) dividiert durch die Ausgangslänge (10m) (20m-10m)/10m = 1%. - Stress/Dehnbelastung: Ergibt sich durch die Kraft pro Querschnittsfläche. MPa= Ft/CSA
Beispiel: Wirkt eine Kraft von 50N auf eine CSA von 5m2 entspricht das einer Dehnbelastung von 10N/m2. Wird durch gezieltes Training die Querschnittsfläche einer Sehne oder Bandes vergrößert wirkt entweder bei gleicher Kraft ein geringerer Stress oder bei höherer Kraft derselbe Stress auf die jeweilige Struktur wodurch diese in jederlei Hinsicht langlebiger wird. - Stiffness/Steifigkeit: Ist der Widerstand eines Materials, Verformungen zu widerstehen. Anders gesprochen, entspricht die Stiffness der notwendigen Kraft F die aufgebracht werden muss, um eine gewisse Längenveränderung der Sehne hervorzurufen. Stiffness = ΔFt/ΔL.
Vor allem im Spielsport wird gerne eine hohe Steifigkeit angestrebt da weniger Energie in der Elongation des Sehnengewebes verpufft, sondern direkter auf den Knochen übertragen werden kann.
Anmerkung: Young’s Modulus:
Die Steifigkeit innerhalb der linearen Region wird auch als Young’s Modulus oder Elastizitätsmodul angegeben. Das Modul repräsentiert die Steilheit der Geraden (= Stress/Strain) und ist unabhängig gegenüber der Querschnittsfläche. Das Modul gibt daher Auskunft über die Eigenschaft des Materials. Beispiel: Ein Eisenseil hat unabhängig vom Querschnitt, ein höheres Modul als wie ein Gummiseil.
Für die Änderung im Materialverhalten von Sehnen und Bändern sind vor allem die Quervernetzungen (Cross-Links) und der Wassergehalt verantwortlich. Je steiler die Gerade, desto größer ist der Young’s Modulus und desto mehr Kraft wird benötigt um die Sehne zu Dehnen. Ein hohes Modul korreliert außerdem mit der Menge an Energie die das Gewebe bei einer bestimmten Krafteinwirkung speichern und in Folge dessen auch wieder freisetzen kann. Folgende Grafik soll das verdeutlichen (Abb. 4):
Abbildung 4: Stress-Strain-Grafik zweier Sehnen mit verschieden hohen Modulen.
Diese Grafik kann zwei Dinge gut darstellen:
- Bei selbem Stress X kommt es bei einer Struktur mit höherem Modul zu einer geringeren Dehnung (4% vs. 8%). Anders gesehen könnte man auch sagen, um bei der unteren Grafik eine Strain-Rate von 4% zu erhalten dürfte nur halb so viel Stress auf sie einwirken als wie im Vergleich zur obigen Grafik. Die Kraft des Muskels wird direkter auf den Knochen übertragen
- Die rote Fläche unter der Geraden repräsentiert die gespeicherte Energie. Durch ein höheres Modul kann also bei gleicher Dehnungsrate mehr Energie gespeichert und dementsprechend auch wieder freigesetzt werden als wie im Vergleich zu einer Struktur mit geringerem Modul. Die Sehne besitzt das Potential, mehr Energie aufzunehmen und auch wieder freizusetzen
Um die Steifigkeit von Sehnen und Bändern zu erhöhen stehen einem somit zwei (drei) Möglichkeiten zur Verfügung:
- Vergrößerung des Sehnenquerschnitts und der Kollagendichte
- Veränderung der mechanischen Eigenschaft des Materials durch Veränderung des Elastizitätsmoduls (Cross-Links, Wassergehalt)
- Eine Kombination aus beiden genannten Punkten
[Hazari, 2021]
[Heinemeier, 2011]
[LaCroix, 2013]
Viskoelastizität und ihre Besonderheiten
Wie du aus der Zusammensetzung von Sehnen und Bänder gesehen hast, bestehen sie sowohl aus flüssigen, als auch festen Bestandteile und besitzen daher anders als beispielsweise ein Stahlseil, sowohl viskose als auch elastische Eigenschaften. Dadurch weißt das Material einige viskoelastische Besonderheiten auf welche ich im Folgenden kurz ansprechen möchte:
- Tempoabhängigkeit:
Die Zeit mit der eine Kraft auf die Struktur einwirkt, entscheidet darüber wie steif sie sich verhält. Je rapider die Krafteinwirkung, desto Steifer und je langsamer die Krafteinwirkung, desto elastischer ist die Struktur. Wirkt eine Kraft von 100N sehr plötzlich innerhalb extrem kurzer Zeit auf die Sehne, verhält sich diese steifer und es kommt zu einer geringeren Dehnung als wie, wenn dieselben 100N langsamer aufgebaut werden. Dieses Prinzip ist ähnlich zu dem von Wasser. Wenn du deine Hand schnell auf Wasser schlägst wirkt es mehr wie ein Festkörper. Tauchst du sie stattdessen langsam unter, verhält sich Wasser anders, weil die Wassermoleküle Zeit haben, Platz zu machen.
Umgemünzt auf das Verhalten der Sehne bedeutet das, dass sich die einzelnen Kollagenfasern bei schnellen Bewegungen (Sprünge, Sprinten, …) mehr wie eine gemeinsame Einheit verhalten und eine erhöhte Steifigkeit besitzen. Bei langsamen Bewegungen zeigt sich eine verminderte Steifigkeit und die Kollagenfasern agieren mehr wie isolierte und eigenständige Stränge welche gegeneinander Gleiten können. - Creep (Kriechphänomen):
… beschreibt den zeitabhängigen Effekt, dass es trotz gleichbleibender Krafteinwirkung zu einer weiteren Deformation/Dehnung der Sehne kommt. Das bedeutet, wirkt eine Kraft von 100N auf eine Sehne ein, so kommt es zu einer Deformation um einen gewissen Betrag X. Wirken die 100N nun länger auf die Struktur, so kommt es zu einer weiteren Längenzunahme. Diesen Effekt kann man sich bewusst bei isometrischen Übungen zunutze machen um bei Übungen welche eher geringere Intensitäten haben (z.B. Wall Sit, Spanish Squat), die Sehne einer stärkeren Elongation auszusetzen als wie es bei kürzeren Intervallen möglich gewesen wäre. Damit es aber zu diesem Effekt kommt, muss die Position zumindest 30 Sekunden lange gehalten werden.
Creep tritt auch während zyklischen dynamischen Belastungen auf. Das bedeutet, von der ersten bis zur zehnten Wiederholung kommt es mit jeder Wiederholung zu einer geringen Zunahme der Elongation, selbst dann, wenn die Kraft/Last konstant gehalten wird. Je schneller jedoch die Struktur beladen wird und je kürzer die Kontraktion ist, desto später setzt Creep ein. - Stressrelaxation:
… stellt die Inversion des Kriechphänomens dar. Sprich, um eine Sehne über eine bestimmte Zeitspanne auf konstanter Länge zu halten benötigt es eine immer geringere Kraft. Das bedeutet, 100N führen zu einer Dehnung von +2,5mm. Um weiterhin die Dehnlänge von +2,5mm zu bewahren muss die Kraft allmählich auf 80N und danach weiter auf beispielsweise 70N gesenkt werden. Umgesetzt könnt das Beispielsweise bei einem Wall sit werden, indem Anfangs versucht wird, sich bewusst mit der Lendenwirbelsäule nach hinten in die Wand zu drücken (hohe Kraftanforderung an den Quadrizeps). Nach einigen Sekunden wird dieser Schub nachgelassen und man versucht, sich eher mit dem oberen Rücken in die Wand zu pressen (geringere Kraftanforderung an den Quadrizeps). - Hysterese:
… beschreibt den Energieverlust in Form von Wärme zwischen dem Be- und Entladen der Struktur. Dieser beträgt je nachdem welche Sehne man betrachtet um die 10% und reduziert sich mit zunehmender Steifigkeit. Man könnte auch sagen, je geringer die Hysterese, desto ökonomischer arbeitet das Material! Deutlich wird dieses Prinzip bei Übungen in denen der exzentrische Umkehrpunkt für längere Zeit gehalten wird: Pausierte Kniebeugen, pausiertes Bankdrücken oder Wadenheben usw. Man ist hier nicht nur aufgrund des fehlenden
Dehnung-Verkürzungs-Zyklus schwächer, sondern auch, weil die in der Sehne gespeicherte Bewegungsenergie in Form von Wärme verloren gegangen ist.
Weitere Einflüsse auf die Sehnenmechanik:
- Alter: Veränderung von Hormonkonzentrationen und VOR ALLEM erhöhte Inaktivität führen zu einem erhöhten Auftreten von Sehnenverletzungen.
- Geschlecht: Geschlechtshormone verändern die mechanischen Eigenschaften. So zeigen Sehnen und Bänder von Mädchen tendenziell ein geringeres Elastizitätsmodul als wie Burschen.
- Anatomischer Aufenthaltsort
- Ruhigstellung aufgrund einer Verletzung
- Rauchen
- Übergewicht
- Training
[Beach, 2017]
[Hazari, 2021]
[Kelc, 2013]
[Zschäbitz, 2005]
Der Katapult-Mechanismus
Es ergibt sich ein spannendes Phänomen, wenn man die Sprungweite eines Kängurus nur auf Basis der Kontraktionskraft seiner Muskulatur berechnen würde. Man kommt zu dem Ergebnis, dass die berechnete Sprungweite viel geringer wäre, als es eigentlich tatsächlich der Fall ist! Der Fehler beziehungsweise die Lösung dafür liegt in dem besonderen Verhalten des Muskel-Sehnen-Komplexes bei schnellen Bewegungen.
Allgemein ist bekannt, dass der Grund für eine Gelenksbewegung, die aktive Verkürzung und anschließende Dehnung der dem Gelenk zugehörigen Muskulatur ist. Das trifft vor allem für eher langsame und zyklische Bewegungen wie Krafttraining oder Radfahren zu.
Sind die Bewegungen hingegen sehr schnell und die Interaktionszeiten mit einem Objekt (Boden, Speer, Ball, …) sehr kurz (~250ms) wird der Muskel vom Nervensystem vorgespannt und es tritt der oben genannten Katapult-Mechanismus ein:
Beispiel: Obwohl es während dem Laufen beim Bodenkontakt mit dem Fuß zu einer exzentrischen Bewegung kommt (Ferse bewegt sich Richtung Boden) bleibt die Muskellänge beinahe unverändert. Damit wirkt die Sehne wie eine Feder welche durch eine isometrische Kontraktion des Muskels aufgespannt wird. Die Lokomotion wird dann nicht mehr nur rein über eine dynamische Längenveränderung der Muskulatur bewirkt, sondern zusätzlich durch die in der Sehne gespeicherte Bewegungsenergie! (Abb. 5).
Aufgrund dieses Mechanismus erhöht sich die Powerproduktion weshalb dieses Prinzip auch Schnellkraft-Verstärkung (engl. Power amplification) genannte wird.
Abbildung 5: Katapult-Mechanismus: Schleip (2012)
- Muskel Dehnt sich, Sehne bleibt annähernd gleich. (Radfahren, Krafttraining*, …)
* Sind die Intensitäten hoch und der Muskel kräftig genug, kommt es auch bei Krafttraining zu einer Elongation der Sehne.
- Muskel spannt durch eine isometrische Kontraktion die Sehne auf. (Sprinten, Laufen, Werfen, Springen, …)
Ein ähnliches Prinzip kann man auch bei Landungen beobachten. Um die bei einer Landung auftretenden Kräfte rasch und sicher abzufangen, kommt es in der ersten Phase (50ms) des Bodenkontaktes zu einer Gelenksbewegung bei welcher die Sehne gedehnt wird und die muskellänge unverändert bleibt. Erst wenn die Gelenksbewegung langsamer wird, werden die Muskelfasern durch den Rückzugseffekt der Sehne elongiert. Damit wird der direkte exzentrische Power Input in die Muskulatur mit Hilfe der Sehne abgefedert weshalb dieses Prinzip Schnellkraft-Dämpfung (engl. Power attenuation) genannte wird.
Abermals machen diese Vorgänge, den Nutzen, die Wichtigkeit und die Notwendigkeit einer hohen Belastungsverträglichkeit von Sehnen, Bändern und Faszienstrukturen deutlich und zeigen dabei Gleichzeitig die wichtige Aufgabe der Sehne als muskelschützende Struktur auf.
[Haff, 2016]
[Roberts, 1997, 2016]
[Schleip, 2012]
Du hast weitere Fragen oder interessierst dich für eine Leistungsdiagnostik um dein Training zu optimieren? Dann melde dich bei uns. Wir helfen dir gerne weiter.
Physiologische Grundlagen
Im „klassischen“ Kraft- und Konditionstraining liegt der Fokus in der Regel darauf, Muskelfasern zu kräftigen und/oder zu hypertrophieren, die kardiovaskuläre Fitness zu verbessern und das neuromuskuläre System effizienter zu machen. Die meisten mit Sport assoziierten Verletzungen sind aber Überlastungserscheinungen faszialer Strukturen wie: Sehnen, Bändern, Knorpel und Gelenkskapseln, weil diese über ihre Belastungskapazitäten hinaus strapaziert oder ihnen im Zuge des Trainings zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Aus diesem Grund behandeln wir in diesem Kapitel die Physiologie und diskutieren, wie es zu Sehnenanpassungen kommt, was dafür getan werden muss und welche Möglichkeiten dir als Trainer überhaupt zur Verfügung stehen um die Belastungsgrenze derartiger Strukturen anzuheben!
Können sich Sehnen und Bänder anpassen?
Unser Körper mit samt seinen verschiedensten Strukturen ist wahrhaftig eine Anpassungsmaschine. So können auch Sehnen und Bänder, ähnlich wie Muskeln, hypertrophieren und ihre Qualitäten verändern (Abb. 6). Langstreckenläufer haben im Vergleich zu Nicht-Läufern beispielsweise einen um 30% vergrößerten Achillessehnenquerschnitt. Athleten in Sportarten wie Sprinten, Hochsprung oder Weitsprung zeigen dickere Sehnen als wie Athleten welche in Sportarten mit geringerer körperlich muskulärer Anforderung (Kajak) partizipieren.
Die Unterschiede treten aber keineswegs nur auf interindividueller, sondern auch auf intraindividueller Ebene auf. Der Bandquerschnitt des Patellabandes bei Badmintonspielern oder Fechtern welche 5 Jahre im Sport sind, ist am Standbein um 30% dicker.
Anmerkung: Interessanterweise zeigen sich bei weiblichen Athleten geringere Anpassungen sodass manche Studien keinen Unterschied im Sehnen- oder Bandquerschnitt zwischen weiblichen Athleten und einer inaktiven Vergleichsgruppe feststellen konnten.
[Ackermann, 2016]
[Heinemeier, 2011]
[Schleip, 2012]
Wer oder Was passt sich an?
Die Möglichkeit, Sehnen- und Bänder zu kräftigen und zum Wachsen zu bringen unterliegt zwar geschlechtertypischen Unterschieden ist aber dennoch bei Jeder und Jedem möglich. Ein wichtiger physiologische Prozess welcher zu einer verbesserten Sehnen- und Bandqualität beiträgt ist die Kollagensynthese. Eine positive Nettobilanz der Kollagensynthese führt dazu, dass mehr Kollagenmoleküle in die Struktur eingebaut werden, als wie durch katabole Prozesse abgebaut werden wodurch sich sowohl die Anzahl der Kollagenfibrillen, die Querschnittsfläche und die Dichte (mehr Kollagenfibrillen pro Fläche) erhöhen. Eine weitere, von der Kollagensynthese unabhängige Möglichkeit der Anpassung, welche vor allem die mechanische Eigenschaft des Sehnenmaterial verändert, ist der vermehrte Aufbau von Cross-Links.
Natürlich können Anpassungsprozesse aber auch in die exakt gegenteilige Richtung verlaufen. Durch ein nicht belasten der Struktur oder gewissen Lifestylefaktoren wie Rauchen oder Übergewicht, nehmen Durchmesser und Dichte ab. So kann beispielsweise die Zugkraft einer Sehne bereits nach einer acht wöchigen Inaktivitätsphase auf 70% ihres Ursprungswertes abgesunken sein. Gerade im Alter kann bedingt durch hormonelle Veränderungen und Inaktivität, das Material zusätzlich spröder werden und Sehnen und Bänder reißen leichter! Umso wichtiger wird das Wissen darüber, wie Sehnen gezielt kräftiger und damit auch robuster gemacht werden können.
Abbildung 6: Vergrößerung der CSA des ACL: Myrick (2019)
- Erhöhte Reißfestigkeit
- Toleriert höhere Kräfte
- Erhöhte Steifigkeit
- Weniger Laxheit
- Gesicherteres Gelenk
[Ackermann, 2016]
[Heinemeier, 2011]
[Myrick, 2019]
[Zschäbitz, 2005]
Wann passen sich Sehnen und Bänder an?
Die Grundlage für alle morphologischen Anpassungsprozesse im Sehnen- und Bandgewebe stellt die Kollagensynthese dar. Damit dieser Prozess ausgelöst wird, muss ein bestimmter Dehnungs-Schwellenwert überschritten werden. Dafür benötigt es ausreichend hohe mechanische Kräfte zum Beispiel ausgelöst durch eine Muskelkontraktion. Kubo und Kollegen konnten nach einem acht wöchigen Krafttraining mit 80% der Maximalkraft eine erhöhte Sehnensteifigkeit der Achillessehne von bis zu 19% nachweisen. Bei jener Gruppe welche mit 20% der Maximalraft trainierte, blieben die Anpassungen aus. Arampatzis und Kollegen konnte zeigen, dass nach 14 Wochen bei Dehnungsraten von 4,5% die Steifigkeit der Achillessehne zunahm, wohingegen bei einer 3-prozentigen Dehnung keine Veränderung erkennbar war und dass, obwohl Frequenz und Volumen in beiden Gruppen gleich gehalten wurden. Auch die Übersichtsarbeit von McMahon (2022) macht die Notwendigkeit der Verwendung hoher prozentualer Lasten um dadurch die Sehne hohen Dehnbelastungen auszusetzen, nochmals deutlich.
Die Zellen von Sehnen und Bändern besitzen nämlich ein ausgeklügeltes und komplexes System um mechanische Spannungen zu registrieren: Durch eine physische Verankerung der Fibroblasten mit der extrazellulären Matrix über sogenannte Integrine können die Zellen über Verformungen, Zugkräfte und deren Höhe wahrnehmen. Um Anpassungsprozesse auszulösen, müssen die besagten Spannungen aber hoch genug sein, da nur dann eine Signalkaskade losgetreten wird, bei der über den Prozess der Mechanotransduktion, Wachstumsfaktoren wie TGFb1, CTGF, IGF-1 und andere Botenstoffe wie Interleukin-6 produziert werden welche die Fibroblasten dazu veranlasst, Kollagenstrukturen zu produzieren. Folgende Abbildung fasst nochmals die morphologischen und mechanischen Veränderungen im Sehnen- und Bandgewebe, ausgelöst durch einen ausreichend hohen mechanischen Stimulus, zusammen:
Abbildung 7: Sehnenanpassung: Wiesinger (2015)
Die in der Grafik dargestellten wichtigsten Anpassungen sind: Eine Erhöhung des Young’s Modulus, der Kollagendichte und des Sehnendurchmessers. Alle resultieren am Ende in einer erhöhten Steifigkeit der Struktur. Die Art und Weise wie es zu dieser erhöhten Steifigkeit kommt unterscheidet sich aber: Ein Zuwachs an neuen Kollagenfasern (höhere Dichte und größerer Querschnitt) führt dazu, dass sich die Sehne oder das Band bei gleicher Kraft weniger stark elongiert, als wie, wenn die Sehne oder das Band dünner wäre. Die Materialeigenschaft bleibt dabei aber unverändert.
Die Änderung der Steifigkeit über den Young’s Modulus beruht hingegen auf einer veränderten Materialeigenschaft, hervorgerufen durch eine vermehrte oder verminderte Anzahl an Cross-Links!
In vitro Studien an menschlichen Sehnen konnten zeigen, dass je nach Belastungsmodalität die Anzahl der Cross-Links verändert werden kann. Ein schneller Spannungsaufbau resultierte darin, dass die Struktur über den Beobachtungszeitraum mehr Cross-Links aufbaute als wie es bei einem langsamen Spannungsaufbau der Fall gewesen ist. Langsame Kontraktionen bewirkten das Gegenteil und zeigten am Ende eine geringere Anzahl an Cross-Links im Vergleich zum Ausgangswert.
Der Grund ist folgender:
Bei jedem Training schüttet der Körper das Enzym: Lysyloxidase aus, welches den Aufbau von Cross-Links fördert. Aufgrund der viskoelastischen Eigenschaften der Sehne agiert das Material bei schnellen Muskelkontraktionen (plyometrisches- oder Schnellkraft-Training) mehr wie eine feste Platte beziehungsweise wie eine gemeinsame Einheit. Durch das Ausbleiben von Scherbewegungen zwischen den Kollagenfasern werden keine Cross-Links aufgebrochen und aufgrund der Lysyloxidase-Aktivität kommt es zum Aufbau zusätzlicher Cross-Links.
Die Sehnenstruktur wird steifer.
Ist die Muskelkontraktion hingegen eher „langsam“, wird die Bewegung selbst langsam durchgeführt oder tritt Stressrelaxation/Creep auf, verhalten sich die Kollagenfasern mehr wie individuelle Einheiten und es kommt zu einem gegengleichen Gleiten zwischen den Fasern (Scherbewegung). Dadurch werden zahlreiche Cross-Links aufgebrochen. Durch die Enzymaktivität werden zwar wieder einige aufgebaut, je nach Trainingsdauer und Volumen bleibt die Nettobilanz
aber negativ.
Die Sehnenstruktur wird elastischer.
Natürlich ist eine Empfehlung für ein bestimmtes Trainingsparadigma und seine Auswirkungen, für die Trainingspraxis auf Basis von Untersuchungen mit im Labor hergestellten menschlichen Sehnenmaterial, mit Vorsicht zu genießen! Diese Erkenntnis könnte aber dennoch eine Wichtige Erkenntnis und ein spannender Ansatz im Athletiktraining sein! (Siehe Kapitel: Praxis)
[Ackermann, 2016]
[Arampatzis, 2020]
[Arruda, 2006]
[Calve, 2004]
[Heinemeier, 2011]
[Kubo, 2002, 2006]
[McMahon, 2022]
[Wiesinger 2015]
Anpassungszeiträume
Sehnen und Bänder sind schlecht durchblutet, weshalb Veränderungen in diesem Gewebe sehr träge stattfinden und schwer im lebenden Menschen zu untersuchen sind! Heinemeier konnte mit Hilfe einer C-14 Messung zeigen, dass sich der Kern der Achillessehne in 70 Jahren nicht verändert beziehungsweise umwälzt.
Ein weiterer spannender Punkt ist, dass verschiedene Qualitäten unterschiedlich lange Anpassungszeiträume besitzen. Wiesinger et al. konnten beispielsweise zeigen, dass die Anpassung des Elastizitätsmoduls (Young’s Modulus) deutlich schneller von statten zu gehen scheint (1-2 Monate), als wie die Erhöhung der Querschnittsfläche (6-12 Monate) (Bei Messmethoden mit MRT konnten bereits nach 3-4 Monaten kleine Zunahmen des Querschnitts, vor allem im proximalen und distalen Bereich, ausgemacht werden).
Training und mechanische Belastung führen einerseits dazu, dass die Durchblutung vor allem in den Ursprung- und Ansatzbereichen ansteigt, andererseits bei einer Dehnung der Sehne oder des Bandes, Wasser aus dem Gewebe gepresst. Gelangt die Sehne oder das Band anschließend wieder zurück in ihre Ausgangslänge füllt sich der Bereich mit herumliegender zum Teil neuer nährstoffreicher Flüssigkeit.
Anmerkung Genetik:
Genetik ist aus keinem Bereich des Lebens und der Anpassungsprozesse wegzudiskutieren. So hat sie natürlich auch beim Thema Sehnen einen riesigen Einfluss auf Anpassungsgeschwindigkeit und Sehnentoleranz. So kommt es bei Laufsportler mit dem Kollagen pro-α1 (COL1A1) Polymorphismus des A Allels, seltener zu Überlastungserscheinungen und Rupturen der Achillessehne, als wie bei Personen bei denen das B Allel vorherrschend ist. Am Ende können wir als Trainer jedoch nichts an derartig vorgegebenen Bedingungen verändern, sondern müssen sie akzeptieren, darauf Rücksicht nehmen und einen individuellen Ansatz aufgrund dieser Gegebenheiten ausarbeiten.
In Punkto Genetik und Bindegewebe spielt auch das Geschlecht selbst eine große Rolle. So könnte Östrogen ein Hormon sein, welches einerseits der Sehnenvergrößerung entgegenwirkt, als auch zu einer geringeren Lysyloxidase-Aktivität führt wodurch das Sehnen- und Bandmaterial weiblicher Athleten aufgrund einer geringeren Anzahl an Cross-Links, dehnfähiger ist als wie das von männlichen.
[Ackermann, 2016]
[Dines, 2023]
[Heinemeier, 2011]
[Wiesinger 2015]
[Baar, 2017]
Du hast weitere Fragen oder interessierst dich für eine Leistungsdiagnostik um dein Training zu optimieren? Dann melde dich bei uns. Wir helfen dir gerne weiter.
Praxis
Unumstritten ist eine unserer wichtigsten Aufgaben als Trainer, die athletische Leistung unserer Kunden zu maximieren und dabei gleichzeitig die Verletzungsanfälligkeit zu reduzieren. Jedoch muss man sich gerade und vor allem bei Top-Level Athleten, welche nahe an ihrem genetischen Maximum agieren immer bewusstwerden, dass mit einer Erhöhung der Leistungskapazität um wenige Prozente, das Risiko von Verletzungen und Überlastungserscheinungen von Sehnen, Bändern und Muskeln, ebenfalls mit ansteigt.
In der nun folgenden Praxis Sektion, werde ich deshalb versuchen, aufbauend auf all den vorhin erwähnten Informationen aus den Bereichen: Anatomie, (Bio)-Mechanik und Physiologie, differenzierte Trainingsansätze und -methoden vorzustellen welche darauf abzielen, Sehnen- und Bandstrukturen zu verstärken und in ihrer Qualität zu verändern.
Auch wenn im Folgenden der Versuch unternommen wird, die Auswirkung unterschiedlicher Trainingsinterventionen auf Sehnen- und Bandanpassungen zu beziehen, muss dabei dennoch klar sein, dass Sehnen und Bänder niemals isoliert, sondern immer im Zusammenhang mit einem Netzwerk aus Faszien- und Muskelgewebe agieren! Anpassungen, ausgelöst durch die in diesem Kapitel vorgestellten Trainingsmethoden sind daher keineswegs exklusiv auf Sehnen und Bänder beschränkt, sondern ziehen zahlreiche weitere positive Veränderungen des gesamten muskuloskelettalen Systems wie die Verstärkung von Knochengewebe, ein erhöhter Muskelaufbau und eine verbesserte und schnellere Kraftproduktion, nach sich!
Eine weitere Schwierigkeit um konkrete Praxisempfehlungen zu geben, stellt die recht widersprüchliche Studienlandschaft dar, welche sich mit Steifigkeit, Querschnittfläche und dem Modul von Sehnen auseinandergesetzt haben. Mögliche Gründe für die unterschiedlichen Ergebnisse könnten sein:
- Welche Messmethode wurde eingesetzt?
Untersuchungen mit MRT vs. Ultraschall konnten Querschnitterhöhen aufgrund des sensibleren Messverfahrens bereits nach 3-4 anstatt 6 Monaten feststellen - Wo wurde der Querschnitt gemessen?
Sehnen zeigen ein Dickenwachstum vor allem am distalen und proximalen Ende, weniger im mittleren Bereich. - Bei welchem Ramp up-Tempo wurde die Sehnendehnung gemessen? 4 Sekunden oder 10 Sekunden?
- Welche Methode wurde Eingesetzt um die tatsächliche Kraft in der Sehne zu berechnen?
Angepasste Antagonisten-Koaktivität? Wurden Gelenksdrehmomente berücksichtigt?
- Wurde die Steifigkeit als gesamter Muskel-Sehnenkomplex gemessen oder direkt das Modul der Sehne? Zusätzlich ist die Messung des Moduls in vivo keine direkte Messung, sondern nur eine Berechnung.
- Kaum Studien an trainierten Athleten
Aus diesem Grund finden in dieses Praxiskapitel zweierlei Arten von Studien Einzug:
- Studien am und im lebenden Menschen, welche zwar die praktischen Aspekte widerspiegeln, aufgrund der oben genannten Probleme aber womöglich ein verzerrtes Bild mancher Anpassungen darstellen.
- In vitro Studien, welcher zwar theoretischer Natur sind, aber aufgrund der Möglichkeit der Standardisierung und Isolation des Sehnenmaterials inklusive seiner direkten Untersuchung, mehr Einblicke in mögliche Sehnenspezifische Anpassungen ermöglichen.
[Wang 2006]
Wichtige Einflussgrößen auf Sehnenanpassungen
Egal ob bei Studien am Menschen oder im Reagenzglas, es gibt bestimmte Parameter welche von den Wissenschaftlern kontrolliert werden müssen um darauf basierend, Hypothesen überprüfen zu können. Bei diesen Parametern handelt es sich um sogenannte Belastungsvariablen welche auch von und als Kraft- und Konditionstrainer gekannt und gegebenenfalls modifiziert werden sollten, um eine gewünschte Anpassung auszulösen. Aus diesem Grund möchte ich im folgenden Abschnitt die wichtigsten Kenngrößen kurz zusammenfassen:
- Höhe der Sehnendehnung (Strain):
Diese wird in der Regel über die Intensität gesteuert. Eine höhere Intensität führt folglich (wenn auch nicht immer) zu einer erhöhten Dehnungsrate der Sehne. Dieser intensitätsgesteuerte Ansatz kommt mit seinen Vor- und Nachteilen. Je nachgiebiger das Sehnenmaterial und/oder je kräftiger die Muskulatur desto unterschiedlicher wird sich die Sehne bei einer bestimmten prozentualen Last verhalten. - Gelenksstellung bzw. Verkürzungs-/Dehnzustand der Muskulatur
Aufgrund des Längen-Spannungs-Verhältnisses der Muskulatur, kann diese nicht in jedem Gelenkswinkel gleich viel Kraft/Spannung erzeugen was Einfluss auf das Anpassungsverhalten von Sehnen und Bändern hat. Untersuchungen von McMahon und Kubo et al, bekräftigen diese Hypothese und zeigen anhand des Kniewinkels beim Beinstrecker, dass sich die Sehnensteifigkeit des Patellabandes bei einer muskulär gedehnten Endstellung stärker erhöht als wie, wenn bei einer muskulär verkürzten Position trainiert wird. - Dehndauer in Sekunden (= Volumen)
Wie lange ist die Nettozeit mit der eine Struktur Belastung erfahren hat. Diese Variable zwischen verschiedenen Trainingsmodalitäten zu kontrollieren ist immens schwierig. Dazu möchte ich gleich ein Beispiel bringen, welches dieses Dilemma aufzeigt: Bei einer isometrischen „Kontraktion“ kann die Dehndauer gut kontrolliert werden. Wenn 30 Sekunden gegen einen unüberwindbaren Widerstand gedrückt oder gezogen wird, beläuft sich die Dehndauer in diesem Satz, je nachdem wie schnell Kraft produziert wurde, auf zirka 30 Sekunden. Dem gegenüber steht plyometrisches Training. Hier kommt es pro Wiederholung je nachdem wie lange die Bodenkontaktzeiten sind, zu Dehnbelastungen zwischen 150-500ms. Die Dehndauer bei diesen beiden Trainingsansätze in einer in vivo Studie auf die Dehndauer hin zu kontrollieren und zwischen den Gruppen gleich zu halten, ist sehr schwer möglich. - Dehnfrequenz
Wie häufig wird gedehnt. Hier zeigt sich bei bindegewebsartigen Strukturen eine spannende Tendenz. Ähnlich wie es auch beim Knochen der Fall ist, scheint die Spitze der Kollagensynthese bereits nach kurzer Zeit (10-15 Minuten) erreicht zu sein und fällt danach wieder ab und läuft nach 90 Minuten gegen null. Darauf folgt eine Refraktärzeit von 6 Stunden. Das bedeutet die Zellen sind erst wieder nach 6 Stunden dafür empfänglich, den Prozess der Kollagensynthese auszulösen. Steht also wirklich der Prozess der Sehnenveränderung oder -rehabilitation im Vordergrund, sollten Einheiten nicht länger als 15 Minuten dauern und der nächste Reiz nach frühestens 6 Stunden gesetzt werden. Aufgrund der kurzen Belastungsdauer ist ein maximum an Kollagensynthese bei gleichzeitig minimal zerstörten Strukturen garantiert
Zusammenfassend sei also gesagt, dass Interventionen von unserer Seite als Trainer so gestaltet werden sollten, dass die eben genannten und modifizierbaren Parameter zum jeweiligen Ziel passen und sich bezogen auf die individuelle Person weder am unteren (zu gering) noch am oberen (zu hoch) Ende befinden sollten, da dies wahrscheinlich nicht zu den von uns gewünschten Anpassungen führt.
[Arampatzis, 2020]
[Baar, 2017]
[McMahon, 2022]
Trainingsmethoden zur Sehnenkräftigung
Drei Dinge sind bezogen auf die Kräftigung von Sehnen und zur Veränderung der Sehnenqualität entscheidend:
- Die Dehnung der Sehne muss groß genug sein. Der Sweetspot liegt zwischen 4,5-6%. Damit diese Dehnung überhaupt erreicht werden kann führt uns das zum zweiten Punkt:
- Es bedarf ausreichend starker Muskelkontraktionen.
- Kontinuität: >12 Wochen
Über die folgenden vier Trainingsmodalitäten können alle drei obigen Punkte erreicht werden:
- Dynamisches Krafttraining mit 80%-100% Fmax
- Maximal oder Quasi-Isometrische Muskelkontraktion
- Supramaximales (>100%Fmax) exzentrisches Krafttraining
- Plyometrisches Training
[Bohm, 2015]
[McMahon, 2022]
Dynamisches Krafttraining bei Fmax von 80% oder mehr
Ergebnisse aus in vivo Untersuchungen:
Arampatzis, Kongsgaard, Grosset, Kubo und einige mehr konnten anhand in vivo Studien zeigen, dass jene Gruppen, welche mit höheren Dehnungsraten (= höheren Intensitäten) trainierten, auch die höheren morphologischen Anpassungen wie (Steifigkeit, Querschnittsfläche, Modul) davontrugen. Eine derartige Anpassung würde rein logisch betrachtet auch Sinn machen. Erhöht sich die Kraft mit welcher der Muskel an der Sehne zieht, sollte diese an Dicke zulegen damit sich die Kraft auf eine größere Fläche verteilt und der Stress welcher auf die Struktur wirkt, gleichbleibt.
Möglichkeit einer gezielten Anpassung basierend auf vitro Untersuchungen:
Bedingt durch die Verwendung hoher Intensitäten kann aufgrund des Kraft-Geschwindigkeits-Zusammenhangs, die Bewegung nur langsam durchgeführt werden beziehungsweise sich die Muskelfasern nur langsam kontrahieren. Aufgrund des viskoelastischen Verhaltens kommt es deshalb zu Scherbewegungen zwischen den einzelnen Kollagenfibrillen. Ein Auftreten von Scherbewegungen zeigt in in vitro Studien ein aufbrechen von Cross-Links was in einer mechanischen Veränderung des Sehnenmaterials (geringeres Modul) resultieren würde. Hier muss aber natürlich eine Relation zum absolvierten Volumen hergestellt werden. Wie in der Physiologe-Sektion geschrieben, wird durch eine mechanische Belastung das Enzym: Lysyl-Oxidase freigesetzt welches wiederum die Bildung von Cross-Links begünstigt. Ein geringes Volumen (z.B. 4 Wiederholungen im Maximalkraft wirksamen Bereich) wird nur eine geringe Anzahl an Cross-Links zerstören sodass über die Lysyl-Oxidase-Aktivität am Ende sogar mehr Cross-Links gebildet werden können. Bei zwanzig Wiederholungen im Maximalkraft wirksamen Bereich, werden aufgrund des nun höheren Volumens, mehr Cross-Links zerstört, sodass sich am Ende trotz des Aufbaus neuer Cross-Links, eine negative Netto-Bilanz einstellt. Gleichzeitig bietet die mittels Krafttraining ausgelöste Anpassung eines vergrößerten Querschnitts wiederum das Potential, aufgrund einer höheren Anzahl an Kollagenstrukturen, mehr Cross-Links aufzubauen.
Hierzu noch ein vereinfachtes Gedankenexperiment:
Ein einziger Wolf (geringes Volumen) kann 10 Häuser pro Tag umblasen (zerstörte Cross-Links). Die drei kleinen Schweinchen (Lysyl-Oxidase) können aber 15 Häuser pro Tag aufbauen (aufgebaute Cross-Links). Es werden also einige Häuser zerstört, aber am Ende des Tages gibt es dennoch mehr als wie am Vortag.
Drei Wölfe (hohes Volumen) können dreißig Häuser umblasen. Die drei Schweinchen können aber nach wie vor nur 15 Häuser pro Tag aufbauen. Es nimmt also von Tag zu Tag die Anzahl an Häuser ab.
Zusammenfassung:
Eine objektive Betrachtung der Studienlandschaft zeigt, dass schweres Krafttraining ein breites Spektrum an positiven Anpassungen für Sehnen und Bändern liefert und in Kurzzeit-Untersuchungen (12 Wochen) zu einer erhöhten Steifigkeit und innerhalb von Langzeitstudien (16 Wochen) zu einem erhöhten Sehnenquerschnitt führen kann.
Zusätzlich kann das Volumen so modifiziert werden, dass bei dieser Trainingsintervention ein begleitender Muskelaufbau stattfindet. Es lasst sich aufgrund von in vitro Studien hypothetisieren, ob die Festgestellte Erhöhung der Steifigkeit mittels Krafttraining darauf beruht, dass der gesamte Muskel-Sehnen-Komplex aufgrund von einer erhöhten Querschnittsfläche von Sehne und Muskulatur und Strukturänderungen in den myofaszialen Schichten, insgesamt an Steifigkeit zugelegt hat und weniger über eine erhöhte Anzahl an Cross-Links im Sehnenmaterial zu erklären ist. Diese könnten nämlich über ein Krafttraining möglicherweise sogar reduziert werden.
[Ackermann, 2016]
[Baar, 2017]
[Bohm, 2015]
[Heinemeier, 2011]
[Kubo, 2002]
[McMahon, 2022]
[Paxton, 2007]
Maximal oder Quasi-Isometrische Kontraktion
Isometrisches Training kann in zwei Kategorien unterteilt werden:
- Overcoming Isometrics (überwindende isometrische Kontraktionen)
- Yielding Isometrics (nachgebende isometrische Kontraktionen)
Bei ersterem wird das Gewicht so gewählt, dass es bei maximaler willkürlicher Kraftproduktion nicht bewegt werden kann, es also einen unüberwindbaren Widerstand darstellt. Um den Sweetspot von 4,5-6% Sehnendehnung zu erreichen bedarf es einer Kontraktionskraft von zirka 90% der maximal willentlichen Kontraktionskraft (MVIC).
Bei der Trainingsmodalität der überwindenden isometrischen Kontraktion, ist es im Zuge der Trainingsplanung eher üblich, Wiederholungen bei kürzerer Kontraktionszeit und einem explosiven Kraftaufbau (Fast Ramp Up) zu programmieren. Typische Übungen wären beispielsweise der isometrische mittlere Oberschenkelzug (Isometric mid thigh Pull), einbeinige Kicks in eine verriegelte Leg Extension usw.
Im Gegensatz zu überwindenden werden nachgebende isometrische „Kontraktion“ mit submaximalen Intensitäten durchgeführt und für 30 Sekunden oder länger gehalten. Klassische Übungsbeispiele dazu wären der Wall Sit, Spanish-Squat oder das verharren in einer Ausfallschritt-Position oder tiefen Liegestützposition. Nachgebende isometrische „Kontraktionen“ Punkten vor allem dann, wenn Probleme im Sehnen oder Bandbereich auftreten oder deren Rehabilitation im Vordergrund steht:
Anmerkung Stress-Shielding:
Hierbei handelt es sich ein Prinzip, bei dem eine geschädigte Stelle durch gesunde Strukturen abgeschirmt wird was sich negativ auf den Heilungsprozess auswirkt und diesen verlangsamt.
Gerade bei längeren und hochvolumigen Trainingseinheiten kommt es aufgrund der viskoelastischen Eigenschaften von Sehnen und Bändern dazu, dass das Sehnenmaterial über die Dauer der Einheit immer dehnfähiger wird (Creep). Bei repetitiven schnellkräftigen Bewegungen (Sprünge, Schläge, …) vor allem gegen Ende des Trainings kann es dazu kommen, dass durch die nun längere Dehnfähigkeit, einzelne Kollagenfasern über die lineare Region hinaus elongiert und beschädigt werden. Aufgrund der langsamen Kollagenumwälzung von Sehnen und Bändern, haben diese eine sehr langsame Regenerationsrate, wodurch sich über längere Zeiträume hinweg, immer mehr dieser Mikroverletzungen anhäufen und dadurch Probleme in der Muskel-Sehnen-Einheit entstehen können. Beispiele: Jumpers-Knee bei Basketballspielern, Shin-Splints bei Läufern, Tennisellenbogen bei Tennisspielern, …
Damit sich die verletzte Struktur wieder regenerieren kann und gesunde Kollagenfasern in Zugrichtung aufgebaut werden, braucht es dosierte Belastungen. Das Problem hierbei ist jedoch, dass das verletzte Gewebe an Steifigkeit verliert und dadurch sämtliche Kraft von der noch funktionstüchtigen steiferen Struktur aufgenommen und weitergeleitet wird. Damit du dir das besser vorstellen kannst, denke an einen riesigen Felsen der in einem strömenden Fluss liegt. Die gesamte Kraft/Wasser geht um den Stein herum und die eigentlich geschädigte Stelle bleibt trocken. Die gesunde Struktur führt also zu einer Abschirmung (Shielding) sodass die verletzte keine Belastung erfährt. Durch den ausbleibenden Belastungsreiz baut sich über die Wundheilungsphasen Narbengewebe auf. Dieses besteht aus einer ungerichteten Kollagenstruktur wodurch die gesamte Sehne weniger Zugkräfte aufnehmen und weiterleiten kann und deutlich an Belastbarkeit einbüßt.
Angepasstes isometrisches Training mit einer mindestens 30-Sekündigen Haltephase kann hier einen sinnvollen Ansatz darstellen. Aufgrund der lange Haltedauer kommt es zum Phänomen der Stress-Relaxation und die gesunden Strukturen entspannen sich wodurch die direkt nebenan liegenden geschädigten Fasern nun ebenfalls Zugkräfte abbekommen und parallel in Zugrichtung verlaufende Kollagenstränge eingelagert werden!
Zusammenfassung:
Isometrische Kontraktionen zeigen in der Literatur durchwegs positive Anpassungseffekte der Sehne und scheinen in diesem Aspekt einem dynamischen Krafttraining gleichwertig zu sein. Am besten werden dabei Positionen verwendet, bei denen sich die Muskulatur eher in einem gedehnten und weniger in einem verkürzten Zustand befindet.
Bezogen auf den Muskelaufbau zeigen isometrische Kontraktionen hingegen einen geringeren Benefit, als es dynamisches Krafttraining über die gesamte Bewegungsamplitude tut. Ist es das Ziel, in einem bestimmten Winkelbereich stärker zu werden, ohne dabei sonderlich den Muskelaufbau anzutreiben, bieten isometrische Kontraktionen eine zusätzliche sinnvolle Möglichkeit, das zu erreichen!
Bezogen auf die beiden Möglichkeiten eines schnellen und kurzen Kraftaufbaus oder einer langanhaltenden Kraftproduktion, wäre zu überlegen, ob sich die Methoden unterschiedlich auf die Cross-Links auswirken könnten. In der Theorie und an in vitro Material untersucht, kommt es bei der Stressrelaxation zu einem gegeneinander gleiten einzelner Kollagenfibrillen und einem Aufbrechen von Cross-Links was einer Reduktion des Elastizitätsmoduls zur Folge hätte. Bei schnellen Kontraktionen verhält sich das Sehnenmaterial aufgrund seiner viskoelastischen Eigenschaften, mehr wie eine gemeinsame Einheit und es werden weniger Cross-Links zerstört wodurch es anschließend durch die enzymatische Aktivität der Lysyl-Oxidase zu einer positiven netto Bilanz an Cross-Links käme.
Eine weitere Überlegung zum Einsatz isometrischer Trainingsinterventionen in der Praxis, wäre, diese bei Athleten mit einer ausgedehnten Verletzungsgeschichte zu verwenden und als Annäherung (Regression) für plyometrische Übungen einzusetzen. Im Gegensatz zum plyometrischen Ansatz, wirken beim isometrischen keine Trägheitseffekte und durch die geringe koordinative Anforderung hat der Athlet eine bessere Kontrolle während der Ausführung.
[Baar, 2017]
[Haff, 2016]
[Kubo, 2017]
[McMahon, 2022]
[Yamamoto, 1993]
Sub- und Supramaximales exzentrisches Training
Aufgrund seiner Physiologie kann der Muskel während exzentrischer Bewegungen im Vergleich zu konzentrischen, 20-50% mehr Kraft entwickeln. Somit können höhere Zugkräfte auf Sehnen wirken, als wie es bei einem herkömmlichen Krafttraining der Fall wäre. Exzentrisches Training ist aber auch gleichzeitig sicher jener Ansatz unter all den vorgestellten, welcher die gravierendsten Auswirkungen auf die Erholungszeit hat und sollte daher mit Bedacht in einen Trainingsplan eingebettet werden. Die Benefits von exzentrischem Training bezüglich Sehnenanpassungen zeigen in vivo dieselben Outcomes wie die beiden bisher vorgestellten Trainingsmethoden. Weitere positive Effekte exzentrischen Trainings liegen in einem erhöhten Kraft- und Muskelzuwachs, einer schnelleren Kraftproduktion und einem längeren Muskel. Die Umsetzung exzentrischen Trainings läuft meistens darauf hinaus, dass während der Konzentrik über beide Gliedmaßen gearbeitet wird und in der Exzentrik nur über eine. Das ist beispielsweise in bestimmten Beinpressen mit Gewichtsblock oder in der Smith Maschine mit Sicherheitsstreben möglich! Ebenso bietet das Flywheel mit ein wenig Übung eine Möglichkeit dar, um die exzentrische Bewegungsphase zu überladen.
Plyometrisches Training
Bei plyometrischen Trainingsansätzen werden in der Regel sehr geringe Intensitäten (Körpergewicht) vorgeschrieben und liegt deshalb entlang eines Intensitäts-Kontinuums auf der gegenüberliegenden Seite von Maximalkrafttraining.
Die Auswirkung plyometrischer Trainingsinterventionen auf die Anpassung von Sehnen ist nicht eindeutig. In seinem Review und seiner Meta-Analyse unterstreichen Ramirez-delaCruz und Kollegen die Effektivität plyometrischen Trainings und zeigen, dass diese Methode ein sinnvolles Tool ist, um die Sehnensteifigkeit zu erhöhen jedoch keine Auswirkung auf den Sehnenquerschnitt und die Muskelsteifigkeit hat. Kubo und Kollegen kamen zu einem genau gegenteiligen Ergebnis, nämlich, dass plyometrisches Training das Elastizitätsmodul senkt und stattdessen die Muskelsteifigkeit erhöht. Zwei andere Meta-Analysen von Bohm und Moran stellten verschiedene Trainingsmethoden gegeneinander und resümierten, dass plyometrisches Training nicht den effizientesten Weg darstellt, um den Sehnenquerschnitt zu erhöhen und andere Trainingsformen wie dynamisches Krafttraining, isometrisches und exzentrisches Training dafür besser geeignet zu sein scheinen.
Aus der Sicht von in vitro Studien müsste es durch plyometrisches Training aufgrund der schnellen Sehnendehnung, allmählich zu einem erhöhten Aufbau von Cross-Links kommen, wodurch das Gewebe steifer werden sollte. Aufgrund der enorm kurzen Belastungszeiten pro Sprung (150-500ms) fällt das Gesamtvolumen (Dehndauer in Sekunden) sehr gering aus weshalb eine Erhöhung des Sehnenquerschnitts möglicherweise innerhalb der Interventionszeit nicht nachweisbar war.
Für den Einsatz in der Praxis, sollte überlegt werden, welche Struktur in den Vordergrund gestellt werden soll. Je nachdem bieten sich sprunggelenksdominante Sprungvarianten wie Pogo oder Drop Jumps (Achillessehnen-Komplex) oder kniedominante Sprünge wie der CMJ (Patellaband und Quadrizepssehne) an. Aber auch die Steifigkeit anderer Sehnen, wie zum Beispiel jene des M. pectoralis majors kann mit Plyo-Push Ups oder Push Up Throws an der Smith erhöht werden.
Zusammenfassung:
Auch wenn plyometrische Interventionen unumstritten eine verbesserte Performance in Aktivitäten mit Dehnungsverkürzungszyklus aufgrund eines verbesserten neuronalen Systems zugeschrieben werden können, sind die Ergebnisse existierenden Studien bezüglich Sehnenanpassungen (Querschnitt oder Modul) sehr unterschiedlich. Das liegt zum einen daran, dass nur verhältnismäßig wenig Studien (und noch weniger an Trainierten Athleten) existieren und zum anderen, dass plyometrische Übungen schwer zu standardisieren sind und Vergleichsstudien mit isometrischen Kontraktionsformen aufgrund der Schwierigkeit das Volumen zwischen den Gruppen anzugleichen, nur mit Vorsicht interpretiert werden dürfen.
[Baar, 2017]
[Haff, 2016]
[Kubo, 2017]
[McMahon, 2022]
[Ramírez‑delaCruz, 2022]
Das Steifigkeits-Dilemma! Wieso steifer nicht immer besser ist!
Ich habe es bereits des Öfteren erwähnt: Ein steiferer Muskel-Sehnen-Komplex lässt den Athleten höher springen, schneller laufen oder weiter werfen da die Kraft vom Muskel direkter auf den Knochen übertragen werden und das Material mehr Energie aufnehmen und wieder freisetzen kann. Daher könnte man meinen, je Steifer die Sehne, desto besser ist es. Doch ist eine steifere Struktur tatsächlich immer das was ich als Trainer für meine Athleten möchte?
Ja und Nein, je nachdem welche Struktur im Mittelpunkt steht! Im Falle von Bändern ist es zutreffend, dass Steifer gleich besser ist, denn diese verbinden Knochen mit Knochen, also zwei starre Strukturen miteinander. Je steifer das Band, desto höher ist das Elastizitätsmodul und desto höheren Stress (MPa) kann die Struktur tolerieren bevor sie „bricht“. Die Steifigkeit des Kreuzbandes ist mitunter ausschlaggebend für die Laxheit des Kniegelenks und legt fest, wie viel beziehungsweise wenig Spielraum das Gelenk in der Sagittalebene hat. Ist dieses Gelenksspiel um gerade einmal 1,3mm erhöht, steigt die Wahrscheinlichkeit einer vorderen Kreuzbandverletzung um das Vierfache an!
Im Gegensatz zu Bändern, verbinden Sehnen, ein elastisches Material (Muskel) mit einem unelastischen (Knochen). Diese Unterscheidung ist enorm wichtig, denn aufgrund dieser Bedingung ist eine steifere Sehne nicht immer die bessere Wahl.
Eine steifere Sehne wird auf der einen Seite zwar definitiv die Leistung des Athleten aufgrund von einem direkteren Krafttransfer von Muskeln auf den Knochen und einer besseren Energiespeicherfähigkeit nach oben treiben, auf der anderen Seite erhöht sich dadurch jedoch gleichzeitig auch die Verletzungsanfälligkeit der Muskulatur vor allem wenn diese nicht kräftig genug ist.
Möglicherweise ist dir das in der Praxis unterbewusst bereits aufgefallen. Manches Mal gibt es AthletInnen welche von Woche zu Woche höher Springen, schneller Sprinten oder weiter werfen und so gut waren wie niemals zuvor… Doch dann zerren oder reißen sie sich Muskelfasern.
Einer der möglichen Gründe für ein derartiges Szenario wäre, dass der Muskel ein wenig schwächer ist, als wie die Sehne steif wurde. Dadurch kann der Muskel bei schnellen hochdynamischen Bewegungen nicht mehr wie normalerweise üblich, durch eine isometrische Kontraktion die Sehne wie eine Feder aufspannen, sondern es tritt genau der umgekehrte Fall ein: Die steife Sehne führt zu einer blitzartigen Dehnung der maximal kontrahierenden Muskulatur wodurch diese dann nachgibt und im schlimmsten Falle reißt.
Dieses „Steifigkeits-Muskelkraft-Problem“ spiegelt sich auch wider, wenn man gewisse Verletzungsstatistiken von männlichen und weiblichen Athletinnen ins Auge fasst. Weibliche Athletinnen zeigen im Vergleich zu Männern, ein bis zu achtfach höheres Risiko, eine vordere Kreuzbandruptur zu erleiden*. Neben biomechanischen Aspekten könnten auch physiologische Faktoren wie eine aufgrund von Östrogen reduzierte Anzahl an Cross-Links in Bandstrukturen, eine Rolle in der Verletzungsstatistik spielen. Im Gegensatz zur hohen Prävalenz von Kreuzbandrupturen ist die Wahrscheinlichkeit, sich einen Muskel zu reißen oder zu zerren um 80% geringer als wie beim männlichen Pendant. Einer dieser Gründe könnte in der höheren Sehnensteifigkeit von Männern liegen. Erinnere dich dazu noch einmal zurück:
Sehnen haben zwei Aufgaben:
- Sie dienen als kraftübertragende Einheit
- Sie schützen den Muskel vor Verletzungen (Dehnungsbremse wirkt wie ein Schockabsorber, da es dank ihr zu einer graduellen Übertragung der Spannung des Muskels auf den Knochen kommt)
Als Konditionstrainer geht es uns darum, eine gute Balance zwischen beiden Aufgaben zu finden. Das bedeutet, den Athleten über ein erhöhen der Steifigkeit auf ein höheres Leistungsniveau zu heben und dabei gleichzeitig einen individuellen Ansatz über eine Kombination verschiedener Trainingsansätze zu finden, welche die Wahrscheinlichkeit von Verletzungen und Überlastungserscheinungen bindegewebsartiger Strukturen reduzieren. Genau darin besteht das eingangs erwähnte Dilemma:
Wie im Kapitel: „Trainingsmethoden zur Sehnenkräftigung“ beschrieben, könnte es möglich sein, über bestimmte Trainingsformen die Steifigkeit der Sehne vor allem im Bereich des Muskel-Sehnen-Ansatzes zu erhöhen oder zu senken. Auf der einen Seite soll der Athlet eine hohe Sehnensteifigkeit besitzen, weil diese mit einer besseren Leistung korreliert. Eine steifere Sehne begünstigt aber das Auftreten von Muskelzerrungen, weil die muskuläre Kraftproduktion möglicherweise nicht ausreicht um die Sehne weit genug zu dehnen. Das bedeutet hier muss im Zuge der Periodisierung die Muskelkraft des Athleten erhöht werden, damit die Muskulatur eine höhere Sehnensteifigkeit tolerieren kann.
Setzt sich der Fokus lediglich auf die Verbesserung der Maximalkraft, wird zwar der Muskel stärker, das Elastizitätsmodul der Sehne bleibt aber unverändert. Startet dann die Spielsaison oder werden plötzlich viele plyometrische Übungen in den Plan eingebaut wird die Sehne repetitiven und hohen Dehnraten ausgesetzt. Dann ist es plötzlich nicht mehr der Muskel welcher überlastet wird, sondern aufgrund der nun auftretenden starken Elongationen, die Sehne selbst welche Probleme bereiten könnte.
Genau aus diesem Grund ist es wichtig, dass ein Trainingsplan sowohl plyometrische als auch maximalkraftwirksame Trainingsinterventionen enthält. Erstere erhöhen die Steifigkeit und führen zu einer deutlichen Verbesserung des Performance-Aspekts. Letztere können einerseits dazu genutzt werden, den Querschnitt der Sehne zu erhöhen und andererseits das Modul der Sehne gleich zu halten (oder möglicherweise sogar herabzusetzen?). Zusätzlich kann ein kräftigerer Muskel einer steiferen Sehne besser widerstehen und zeigt in einem steiferen Sehnenkomplex eine geringere Verletzungsanfälligkeit.
[Arendt, 1999] *Die berufene Studie stammt aus dem Jahr 1999 und bedarf aufgrund der sich ständig ändernden Trainingsansätze aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, eine neue Evaluation.
[Baar, 2017]
[Chidi-Ogbolu, 2019]
[McHugh, 1999]
[Paxton, 2007]
„Sehnentraining“ … Ein möglicher individualisierter Ansatz!
Eine der größten Herausforderungen vor denen wir als Kraft- und Konditionstrainer stehen, ist der Individualität der AthletInnen gerecht zu werden. Im Abschnitt zuvor habe ich davon gesprochen, dass zwischen Muskelkraft und Sehnensteifigkeit eine gewisse Balance hergestellt werden sollte. Weder die Kombination von steifen Sehnen bei gleichzeitig zu schwachem Muskel noch elastische Sehnen bei zu starkem Muskel sind demnach erstrebenswerte Bedingungen. Zusätzlich gibt es neben der Steifigkeit auch andere wünschenswerte sehnen- und bandspezifische Anpassungen wie eine erhöhte Kollagendichte und ein vergrößerter Querschnitt. Um Veränderungen in der Sehnenqualität auszulösen muss die Kollagensynthese losgetreten werden. Dazu benötigt es ausreichend hohe Muskelspannungen damit die Sehne genügend weit zu dehnen. Der optimale Grad der Dehnung liegt bei 4,5-6%. Befindet man sich darunter sind die Anpassungen geringer, befindet man sich darüber, läuft die Sehnenstruktur aufgrund akkumulierender Mikroverletzungen, Gefahr aus, Schaden zu nehmen.
Abbildung 8: Individuelle Dehnantwort bei maximal isometrischer Kontraktion. Arampatzis (2020)
Um überhaupt Zugspannungen auf die Sehne zu bringen habe ich im Zuge des Artikels folgende vier Strategien beschrieben: Maximalkraft-, isometrisches, exzentrisches und plyometrisches Training. Mit Ausnahme der Plyometrie, ist allen Trainingsmethoden gemein, dass sie mit Prozenten der Intensität arbeiten (%MVIC oder %Fmax). Es wäre nun naheliegend anzunehmen, dass eine Gewisse Intensität mit einer bestimmten Dehnungsrate einhergeht.
Beispiel: Um eine Dehnung der Achillessehne von 5% zu erreiche muss die Intensität beim Wadenheben 85% Fmax betragen.
Auch wenn das für den Gesamtdurchschnitt stimmen mag und in einem großen Teamsetting, einen absolut legitimen, praktikablen und passenden Ansatz darstellt, ergibt sich auf individueller Ebene ein erhebliches Problem: Muskeln und Sehnen adaptieren bei unterschiedlichen Individuen nicht in derselben und auf dieselbe Art und Weise wodurch ein Ungleichgewicht zwischen Kraftkapazitäten auf muskulärer Ebene auf der einen Seite und mechanische Eigenschaften von Sehnengewebe auf der anderen Seite existieren könnte. Folgende Grafik soll dies verdeutlichen (Abb. 8):
Jeder Punkt stellt ein Individuum dar welches eine maximale willentliche isometrische Kontraktion ausführt (100% MVIC). Die meisten Punkte liegen innerhalb des „Dehnung-Sweetspots“. Manche Probanden erreichen aber weitaus höhere (12-13%) und andere deutlich geringere (2-3%) Dehnungsraten und das obwohl bezogen auf die Intensität immer mit maximaler Kraft/Intensität gearbeitet wurde. Die Autoren plädieren daher in einem Individuellen Ansatz darauf, ersteren eher Trainingsblöcke mit „sehnenspezifischem“ Training und letzteren Blöcke mit dem Schwerpunkt auf Muskelaufbau und Maximalkraft, ins Training zu implementieren.
Für die Praxis bedeutet das, dass je nach Muskelkraft und mechanischen Eigenschaften der Sehne eines Individuums, eine Intensität von 80%Fmax eine Dehnung bei Person A von 10% und bei Person B von lediglich 3% ausmachen kann. Das Wissen, über die individuelle Sehnenbeschaffenheit scheint im ersten Moment für uns im Praxis-Setting eher wenig greifbar und messbar zu sein, da diese nur mit Hilfe von Ultraschallsonden und einem entsprechenden Aufbau oder Isokineten zu ermitteln ist. Nichts desto trotz kann uns diese Information dabei helfen zu verstehen, weshalb eine gewünschte Anpassung (verbesserter Dehnungsverkürzungszyklus, Sprunghöhe, Sprintzeit usw.) ausgeblieben ist, oder wieso es beim Athleten möglicherweise zügig zu Überlastungserscheinungen kam.
Athleten mit verhältnismäßig geringer Muskelkraft im Vergleich zur Sehnensteifigkeit, würden demnach vor allem von Maximalkrafttraining profitieren. Zusätzlich könnten langsame exzentrische Wiederholungen oder lange 30-50sekündige isometrische Kontraktionen eingebaut werden. Die hohen Lasten sorgen für eine hohe Zugspannung auf die Sehne und durch zusätzlich langanhaltende Kontraktionen tritt zusätzlich der Effekt der Stressrelaxation ein (Cross-Links werden aufgebrochen und das Modul sinkt). Zusätzlich sorgt das Maximalkrafttraining in Kombination mit exzentrischem Training zu einer erhöhten Kraftbildung der Muskulatur. Diese kann in Folge kräftiger an der Sehne ziehen und damit die Sehne besser dehnen.
Hat die Athletin jedoch bereits verhältnismäßig viel Kraft bei einem gleichzeitig eher nachgiebigen Sehnenmaterial ist der oben vorgestellte Ansatz eher kontraproduktiv. Hohe Intensitäten (>80%Fmax) würden zu einer zu starken Elongation der Sehne führen und auf Dauer Überlastungserscheinungen begünstigen. Um in einem derartigen Szenario den Sehnenquerschnitt zu vergrößern, ist es „sicherer“, tendenziell geringere Lasten (60-70%Fmax) bei dynamischen Krafttraining zu programmieren. Ergänzend dazu sollte versucht werden die Steifigkeit des gesamten Sehnen-Muskel-Komplexes über plyometrische Übungen und kurze explosive isometrische fast Ramp-Up Kontraktionen zu erhöhen.
Eine Möglichkeit, welche wir als Experten mit viel Vorsicht nutzen könnten, um uns ein ungefähres Bild über die Steifigkeit der unteren Extremitäten machen zu können, würde der Drop Jump darstellen. In seiner Studie konnte Gervasi die Korrelation zwischen RSI (reactive Strength Index) und Sprunghöhe, auf die Sehnensteifigkeit vieler Unterkörperstrukturen (Patellaband, Quadrizepssehne, Gastrocnemius-Achillessehnen-Komplex) bei einem Dropjump aus 30cm und 40cm, zurückführen.
[Arampatzis, 2020]
[McMahon, 2022]
[Gervasi, 2022]
Fallbeispiele
Im Folgenden möchte ich dir ein paar Programmideen an die Hand geben, mit denen gewisse Muskel-Sehnen-Einheiten „attackiert“ und deren Eigenschaften verändert werden können. Bei der Integration dieses Trainingsparadigmas ist es wie bei jeder Trainingsmodalität (Maximalkraft, Hypertrophie, Koordination, …) wichtig, Intensität und Volumen langsam und graduell zu steigern um die Struktur nicht zu Überlasten. So kann beispielsweise beim isometrischen Wadenheben von 3 wöchentlichen Sätzen für jeweils 2×10 Sekunden, über 5-8 Wochen auf 6 Sätze mit jeweils 6×3 Sekunden erhöht werden. Denke daran, dass es sich im Folgenden rein um Gedankenanstöße handelt und nicht um die einzig richtige Lösungsstrategie!
Conclusio
Sehnen und Bänder besitzen einen komplexen strukturellen Aufbau und agieren niemals in einem Vakuum, sondern immer in Kombination mit dem zugehörigen Muskel und myofaszialen Gewebe. Egal ob im Spielsport, der Leichtathletik, im Langstreckenlauf oder im Hobbysport, eine robustere und steifere Sehne spiegelt sich in einer verbesserten Kraftübertragung und einer erhöhten Speicherung und Freisetzung elastischer Energie wider.
Sehnen reagieren entsprechend der Belastungsreize mit unterschiedlichen Anpassungen wie einem vergrößerten Sehnenquerschnitt, einer höheren Kollagendichte, einem vermehrten Wassergehalt oder einem erhöhten Modul durch eine höhere Anzahl an Cross-Links. Ihrer Funktion als kraftübertragende Einheit können sie aber nur dann optimal nachgehen, wenn ein Gleichgewicht zwischen Muskelkraft und mechanischen Eigenschaften der Sehne besteht. Aufgrund der geringeren Durchblutung, passen sich Sehnen im Vergleich zu Muskeln weniger rasch an. Im Gegensatz zu Muskelaufbau, welcher bereits bei sehr geringen Intensitäten (30% Fmax) stattfinden kann, benötigen Sehne eine stärkere Muskelkontraktion um sich anzupassen. Möglichkeiten ausreichend hohe Zugspannungen für die Elongation zu erreichen, stellen dynamisches Krafttraining mit 80% der Maximalkraft oder mehr, isometrische Kontraktionen, supramaximales exzentrisches Training oder plyometrisches Training dar. Die ersten drei genannten Trainingsmethoden scheinen nach momentanen Wissensstand bezogen auf die Sehnenanpassungen gleichermaßen effektiv zu sein und resultieren allesamt in einer erhöhten Steifigkeit des Muskel-Sehnen-Komplexes und einer Vergrößerung des Sehnenquerschnitts.
Plyometrisches Training dürfte zwar die Sehnensteifigkeit erhöhen, ohne dabei sonderliche Auswirkung auf den Sehnenquerschnitt zu haben. Studien von in der Petri Schale künstlich hergestellten menschlichem Sehnenmaterial, lassen die Vermutung nahe, dass sich die vier Trainingsmodalitäten bezogen auf die Veränderung der Materialeigenschaft der Sehne über einen Netto-Auf- beziehungsweise Netto-Abbau von Cross-Links, unterscheiden könnten. Langsame und langanhaltende Kontraktionsformen wie sie bei Krafttraining mit über 80% der Maximalkraft, langsamen exzentrischen Wiederholungen, oder isometrischen Übungen mit 30 oder mehr Sekunden Haltedauer stattfinden, könnten in einem stärkeren Abbau als wie Aufbau von Cross-Links resultieren und dementsprechend die Sehnensteifigkeit herabsetzen.
Trainingsmodalitäten bei denen es hingegen zu sehr schnellen Muskelkontraktionen und Dehnungsraten der Sehne kommt (plyometrisches Training, isometrische Übungen mit schnellem und kurzen Kraftaufbau, schnelle exzentrische Wiederholungen), könnten dazu führen, dass die Netto-Bilanz an Cross-Links steigt und die Sehne an Steifigkeit gewinnt. Diese unterschiedliche Auswirkung der Trainingsansätze könnte in einem individualisierten Trainingsprogramm berücksichtigt werden. Aufgrund von Imbalancen zwischen Muskeleinheit und mechanischen Sehneneigenschaften benötigt ein Individuum einen kräftigeren Muskel bei gleichzeitig nachgiebigerer Sehne, ein anderes Individuum hingegen bei gleichbleibender Muskelkraft, eine steifere Sehne. Dementsprechend würden sich die Trainingsinhalte beider Personen auf Basis des Muskel-Sehnen-Komplexes deutlich voneinander unterschieden. Eine Möglichkeit des Schnellscreening, um damit die Sehnensteifigkeit des Unterkörpers grob zu erahnen zu können, wäre bei Spielsporteln der Drop Jump Test. Am Ende ist aber weder der Drop Jump Test noch sonst ein Verfahren zwingend nötig damit der Athlet robuste und langlebige Sehnen entwickelt. Ein guter Kraft- und Konditionstrainer sollte sich gerade zu Beginn an die im Abschnitt „Trainingsmethoden zur Sehnenkräftigung“ empfohlenen Trainingsinterventionen und empfohlenen Intensitäten und Zeitspannen halten. Bleiben Verbesserungen aus, gilt es dann jedoch nicht, zwingend das Volumen noch weiter hochzuschrauben, sondern stattdessen eher Trainingsintensitäten und -methoden zu variieren.
Abschließende Anmerkung:
Die Stärkung von Sehnen und Bändern (und auch sämtlichen anderen Strukturen) sollte kein alleinstehendes Trainingsprogramm darstellen, sondern muss sinnvoll und dosiert in ein bereits bestehendes eingeflochten werden. Auch wenn der gesamte Artikel den Fokus auf Sehnen und Bandanpassungen richtet, sind es in Wahrheit nur wenige Prozente welche über dieses Trainingsparadigma an Leistungsverbesserung erzielt werden können. Keine Frage, natürlich sind diese wenigen Prozente enorm wichtig, aber es bedeutet gleichzeitig, dass ein solides Fundament bestehend aus Krafttraining, Techniktraining, sportartspezifischen Training, Ernährung und sinnvollem Belastungsmanagement, zuvor vorhanden sein muss:
- Wenn der Sprinter keine einzige Kniebeuge mit dem Körpergewicht als Zusatzlast schafft, braucht man sich nicht auf eine „Optimierung“ des Muskel-Sehnen-Komplexes konzentrieren.
- Wenn die Technik beim Hochsprung nicht beherrscht und nicht trainiert wird, braucht man sich nicht auf eine „Optimierung“ des Muskel-Sehnen-Komplexes konzentrieren.
- Wenn der Umfang das Doppelte von dem beträgt, was der Athlet toleriert, braucht man sich nicht auf eine „Optimierung“ des Muskel-Sehnen-Komplexes konzentrieren.
Zudem sind gewisse Anpassungen und der Einfluss von Cross-Links auf die Sehnensteifigkeit noch nicht vollständig gelöst, weshalb man manchen der angesprochenen Methoden und Ideen gerne mit Skepsis gegenüberstehen darf/soll. Verliere dich also nicht zu sehr im Detail, sondern achte darauf, dass die Grundlagen sportlicher Leistungsfähigkeit ausreichend abgedeckt sind. Erst dann können andere Methoden, wie jene, vorgestellt in diesem Artikel, ihr gesamtes Potential entfalten!
Bleib stark, bleib steif!
Quellen
Ackermann, P. W., Hart, D. A. (2016), Metabolic Influences on Risk for Tendon Disorders. Advances in Experimental Medicine and Biology, Springer.
Arampatzis, A., Mersmann, F., Bohm, S. (2020), Individualized Muscle-Tendon Assessement and Training, Frontiers in Physiology.
Arendt, A. A., Agel, J., Dick, R. (1999), Anterior Cruciate Ligament Injury Patterns Among Collegiate Men and Women, Journal of Athletic Training.
Arruda, E. M., et al (2006), Regional variation of tibialis anterior tendon mechanics is lost following denervation, Journal of applied Physiology.
Baar, K. (2017), Minimizing Injury and Maximizing Return to Play: Lessons from Engineered Ligaments, Sports Medicine.
Beach, Z. M. et al (2017), Tendon Biomechanics. Muscle and Tendon Injuries, Isakos.
Bohm, S., Mersmann, F., Arampatzis, A. (2015), Human tendon adaptation in response to mechanical loading: a systematic review and meta-analysis of exercise intervention studies on healthy adults, Sports Medicine.
Calve, S., et al (2004), Engineering of Functional Tendon, Tissue engineering.
Chidi-Ogbolu, N., Baar, K. (2019), Effect of Estrogen on Musculoskeletal Performance and Injury Risk, Frontiers in Physiology.
Dines, H. et al. (2023), Collagen Gene Polymorphisms Previously Associated with Resistance to Soft-Tissue Injury Are More Common in Competitive Runners Than Nonathletes, Journal of Strength and Conditioning Research.
Gervasi, M. et al. (2022), Relationship between Muscle-Tendon Stiffness and Drop Jump Performance in Young Male Basketball Players during Developmental Stages, Int. J. Environ. Res. Public Health.
Haff, G. G., Triplett, N.T. (2016), Essentials of Strength and Conditioning, NSCA, 4th Edition, Human Kinetics.
Hazari, A., Maiya, A. G., Nagda, T. V. (2021), Conceptual Biomechanics and Kinesiology, Springer.
Heinemeier, K.M., Kjaer, M. (2011), In vivo investigation of tendon responses to mechanical loading, Journal of musculoskeletal and neuronal interactions.
Kelc, R., Naranda, J., Kuhta, M., Vogrin, M. (2013), The physiology of sport injuries and repair processes, Intech.
Kubo, K., Kanehisa, H. Fukunaga, G. (2002), Effects of resistance Training and stretching training programmes on the viscoelasticy properties on human tendon structures in vivo. Journal of Physiology.
Kubo, K. et al. (2006), Effects of low-load resistance training with vascular occlusion on the mechanical properties of muscle and tendon. Journal of applied Biomechanics.
Kubo, K. Ishigaki, T., Ikebukuro, T. (2017), Effects of plyometric and isometric training on muscle and tendon stiffness in vivo, Physiological Reports.
LaCroix, A., S., Duenwald-Kuehl, S., E., Lakes, R., E., Vanderby, R., Jr., (2013), Relationship between tendon stiffness and failure: a metaanalysis, Journal of applied physiology.
Levangie, P.K., Norkin, C.C. (2011), Joint Structure and Function 5th Edition, David Plus.
McHugh, M. P., Connolly, D. A. J., Eston, R. G., Kremenic, I. J., Nicholas, S. J., & Gleim, G. W. (1999). The Role of Passive Muscle Stiffness in Symptoms of Exercise-Induced Muscle Damage. The American Journal of Sports Medicine
McMahon, G. (2022), No Strain, No Gain? The Role of Strain and Load Magnitude in Human Tendon Responses and Adaptation to Loading, Journal of Strength and Conditioning.
Myrick, K. M. (2019) Effects of season long participation on ACL volume in female intercollegiate soccer athletes, Journal of Experimental Orthopaedics.
Paxton, J., Baar, K. (2007), Tendon mechanics: the argument heats up, Journal of applied physiology.
Ramírez‑delaCruz, M. et al (2022), Efects of Plyometric Training on Lower Body Muscle Architecture, Tendon Structure, Stifness and Physical Performance: A Systematic Review and Meta‑analysis, Sports medicine.
Roberts T. et al. (1997), Muscular force in running turkeys: the economy of minimizing work, Science.
Roberts, T. (2016), Contribution of elastic tissues to the mechanics and energetics of muscle function during movement, Journal of Experimental Biology.
Schleip, R., Müller, D.G. (2012), Training principles for fascial connective tissues: Scientific foundation and suggested practical applications, Journal of Bodywork and Movement Therapies.
Schünke, M. (2018), Topografie und Funktion des Bewegungssystems, Thieme, 3. Unveränderte Auflage.
Wang, J. (2006), Mechanobiology of tendons, Journal of Biomechanics.
Wiesinger, H.P., Kösters, A., Müller, E., Seynnes, O.R. (2015) Effects of Increased Loading on In Vivo Tendon Properties: A Systematic Review, Med. Sci. Sports Exerc.
Yamamoto, N. et al (1993), Effects of Stress Shielding on the Mechanical Properties of Rabbit Patellar Tendon, Journal of biomechanical Engineering.
Zschäbitz, A. (2005), Anatomie und Verhalten von Sehnen und Bändern, Der Orthopäde.
Du hast weitere Fragen oder interessierst dich für eine Leistungsdiagnostik um dein Training zu optimieren? Dann melde dich bei uns. Wir helfen dir gerne weiter.